Der Zeitpunkt dieses Posts gibt es her, dass Du, wenn Du diesen Post noch während der Corona-Situation liest, wie sie sich Anfang 2021 darstellt, davon ausgehst, dass es hier um genau diese Situation geht. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit, auch wenn diese Situation sehr viel dazu beiträgt.
Es ist völlig unerheblich, ob eine weltweite Virenwelle umgeht oder ob die Steuern mal wieder erhöht werden. Es ist auch egal, ob ein großer Arbeitgeber tausende von Arbeitsplätzen abbaut oder ob durch ein Unglück großer Schaden in einer Region angerichtet wird.
Immer wird es in allen Situationen Gewinner und Verlierer geben. Ein sehr gutes Beispiel war die Währungsreform 1948 in Deutschland. Das bisherige Geld wurde für ungültig erklärt und die D-Mark wurde ausgegeben. Anfangs erhielt ein Haushaltsvorstand 40 DM und für weitere Haushaltsmitglieder gab es ebenfalls etwas. Zwei Wochen später gab es nochmals 20 DM. In der vorhergehenden Zeit waren die Einkaufsmöglichkeiten beschränkt, es gab das sogenannte Besatzungsgeld, die Reichsmark war Zahlungsmittel und die Aussichten waren unklar. Als dieses „Kopfgeld“ verteilt wurde, gab es Menschen, die haben sich erst einmal Dinge gekauft, die sie vermisst haben. Sie haben Geld ausgegeben für Dinge, die sie haben wollten. Andere haben das gleiche Geld in Handelswaren investiert, die sie teurer wieder verkauft haben. Ein Baustein des erfolgreichen Wirtschaftsaufschwungs in den 1950er und 1960er Jahren, der durchaus als extrem bezeichnet werden kann. Man darf dabei bedenken: nach dem zweiten Weltkrieg lag Deutschland zerstört am Boden, hatte nichts und war auf Gedeih und Verderb den alliierten Mächten ausgeliefert. Heute, 75 Jahre später sind wir die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Dabei sind wir gar nicht mal so groß.
Die Kinder meiner Schwester haben beide ihr Taschengeld bekommen, beide brauchten nicht wirklich etwas davon zu bezahlen, sie konnten mehr oder weniger damit machen, was sie wollten. Was jetzt folgt, ist für mich die ultimative Bestätigung eines Klischees, das heute keiner mehr sehen will: mein Neffe machte Abitur, sparte sein Geld und verdiente sich über Bonusprogramme im Internet noch etwas dazu. Ich weiß es nicht mehr in Einzelheiten, aber mit etwa 21 Jahren zog er mit seiner Freundin zusammen und mit ca. 23 Jahren kaufte er sich sein zweites Auto. Diesmal einen Neuwagen, den er praktisch bar bezahlte. Heute, 5 Jahre später, ist meine Schwester erschrocken darüber, dass er von einem Privatvermögen von mehr als 40.000 Euro spricht, Tendenz steigend.
Meine Nichte dagegen, 1,5 Jahre jünger, besuchte die Hauptschule, wohnte noch deutlich länger bei ihrer Mutter und hat bei weitem nicht diese finanziellen Möglichkeiten. Inzwischen hat sie nach ihrer zweiten Ausbildung eine gut bezahlte Arbeitsstelle und ist auf einem wirklich guten Weg, aber sie gibt deutlich mehr Geld für alles Mögliche aus, als ihr Bruder.
Mein Neffe hat nicht den Eindruck, dass er auf irgendwas verzichten würde. Im Moment steht das Thema Hauskauf auf dem Plan. Meine Nichte wird da noch lange nicht dran kommen.
Die Ausgangslage und die Möglichkeiten waren für beide gleich.
Die Corona-Krise hat Einschränkungen hervorgebracht, durch die einigen die Luft ausgegangen ist. Ich finde es ganz sicher nicht an allen Stellen gut, was da in Berlin entschieden wurde, aber auch hier waren für vergleichbare Betriebe auch die Möglichkeiten vergleichbar. Zwei Beispiele führe ich dazu an. Das erste Beispiel kenne ich aus dem TV.
Die Besitzerin einer Boutique in Düsseldorf musste schließen. Fortan versorgte sie ihre Kundinnen über das Internet. Die Kundinnen konnten zwischen drei oder vier Angestellten auswählen, welche von denen sich einige Kleider anzogen und vor der Kamera präsentierten. Es konnten zwar nicht alle Staturen abgedeckt werden, aber eine ungefähre Richtung sowie Haarfarbe war dabei gut vorstellbar. Die Besitzerin hat ihre Kundinnen mit der ausgewählten Ware beliefert und ihren Kundenstamm noch erweitert.
Zur gleichen Zeit vermeldete eine Boutiquen-Besitzerin in München, dass sie unmöglich Kleider über das Internet verkaufen könne. Sie pochte auf Unterstützung durch den Staat und wartete darauf, dass jemand anderes die Verantwortung für sie und ihre Mitarbeiterinnen übernahm.
Beide Boutiquen waren einigermaßen vergleichbar, was die Größe und den Umstand betrifft, dass es sich nicht um Mode von der Stange handelt.
Ein zweites Beispiel habe ich persönlich miterlebt:
Eine Pizzeria musste schließen. Es war die einzige Pizzeria im Umkreis von zwei Kilometern und es sind hunderte von Wohnungen in Mehrfamilienhäusern in der Umgebung. Der Laden lief „ganz gut“, also Mittelmaß. Aber der Besitzer konnte davon leben. Inzwischen hat er Insolvenz angemeldet, weil der Staat nicht rechtzeitig geholfen hat. Geschichte zu Ende.
Am anderen Ende der Stadt gibt es ein Restaurant, in dem zur Hochsaison bis zu knapp 100 Leute gearbeitet haben. Es gab Hochzeiten, Weihnachtsfeiern, Open-Air-Partys mit weit über 1000 Gästen, zusätzlich zu hunderten von Gästen, die nicht ganz billig gegessen haben. Während Corona wurde praktisch alles abgeschafft. Keine Partys, keine Hochzeiten, keine Schulveranstaltungen, kein Restaurantbetrieb, nichts. Du darfst darüber nachdenken, wie groß alleine das Gelände sein muss, um so etwas auf die Beine zu stellen und was das wohl an einfachen Betriebskosten verschlingen wird. Allein die Miete ist sehr deutlich fünfstellig. Einen Aufschub gab es nicht.
Der Besitzer durfte auf gerade mal noch fünf Angestellte reduzieren, das war der absolut härteste Kern, der für Notfälle einfach übrigbleiben musste. Fünf Angestellte kosten auch leicht mal 15.000 bis 20.000 Euro im Monat. Und alles erst einmal zu.
Der Besitzer kam auf die Idee, nach den Lücken und Möglichkeiten zu suchen und er fand sie. Alle. Es gab Glühwein ohne Wein (also Kinderpunsch), Heiße Schokolade statt Lumumba und Masken statt Kekse. Bratwurst und Pommes, Waffeln mit Kirschen und Sahne und alles zum Mitnehmen und Weitergehen. Dann kam ein bekannter Lieferdienst mit dazu und eine Speisekarte, die sich deutlich von all den Döner- und Pizza-Buden unterschied. Vor allem sind die Speisen deutlich teurer, dazu die Aussage, dass es keinen Salat gibt und nur drei oder vier Stunden pro Tag überhaupt geliefert wird.
Nach zwei Wochen kamen die ersten Überlegungen auf, wie man die Küche vergrößern könnte, weil die Bestellungen sowohl für Abholung als auch für Lieferung schneller explodiert sind, als es die Corona-Zahlen je geschafft haben. Dazu mal ein Wort zu den Preisen: so eine Wunschvorstellung von einem Schnitzel mit Pommes für 13 Euro ist ein Zahn, den Du Dir dabei ganz schnell ziehen darfst. Eine einzelne Portion kostet mehr, als die meisten Lieferdienste als Mindestbestellwert aufrufen.
Natürlich hat dieser Laden Bioprodukte aus der unmittelbaren Umgebung im Programm, verwendet Verpackungen ohne Kunststoff und liefert mit E-Bikes aus. Er nutzte immer wieder die Situation und die Gunst der Stunde: eine Woche, bevor die Friseure wieder öffnen dürfen, verlost er unter allen Bestellern drei Friseurtermine innerhalb der ersten Woche. Und nicht nur die Termine, der Haarschnitt ist auch noch gleich mit bezahlt und kostet nicht extra.
Hätte die Pizzeria nicht mit irgendeiner Besonderheit aufwarten können? Z.B. mit einem Pizza-Bausatz? „Wir liefern die Pizza für Ihr Backblech und alle Zutaten, heizen Sie den Ofen schon mal vor!“ Natürlich bekommt man alle Zutaten auch im Supermarkt. Aber nicht am Sonntagabend und als fertigen Bausatz.
Hätte die Münchener Boutiquen-Besitzerin statt Internet nicht eine Laufsteg-Show mit ihren Mitarbeiterinnen machen können und die vielleicht zusätzlich über Facebook streamen können?
Hätte meine Nichte nicht die gleichen Möglichkeiten nutzen können, wie ihr Bruder? Oder ihre Instagram-Bilder, von denen sie reichlich geposted hat, etwas anders aufmachen und mit Werbung versehen können? So funktionieren Influencer und nicht jeder muss Millionen-Umsätze machen.
Vor einigen Monaten habe ich ein Interview mit einem Ölscheich gehört. Ich weiß nicht mehr genau, wo der herkam, aber seine Familie lebt bereits seit vielen Jahren vom Öl. Das wird langsam immer schwieriger, die Umwelt ist ein Thema, die Konkurrenz ist erheblich. Dieser Ölscheich ist inzwischen in Stromerzeugung durch Sonnenenergie unterwegs und verdient damit mehr als mit Öl.
In welcher Situation steckst Du gerade fest? Wen oder was machst Du dafür verantwortlich, wenn Dir mal ein Knüppel zwischen die Beine fliegt? Ist Dein Arbeitgeber etwa dafür verantwortlich, dass Dein Job auf immer und ewig erhalten bleibt und dass Du Jahr für Jahr besser bezahlt wirst? Darf Dein Vermieter etwa nicht die Miete erhöhen, obwohl auch er höhere Kosten zu tragen hat? Ist er die Wohlfahrt? Ist es die Aufgabe der Gesellschaft, Dir den Arsch zu pudern und dafür zu sorgen, dass es Dir gut geht? Muss eine Regierung in einer Situation, die sie nicht verursacht hat, Dein Konto füllen, damit Dein warmes, flauschiges Leben bloß nicht in Wallung gerät?
Denk‘ mal drüber nach!
Jörg