Heute vor einem Jahr war ich bereits seit drei Tagen wieder zu Hause. Ich habe den Karneval in Spanien haarscharf verpasst. Vom südpanischen Festland fuhr ich mit meinem eigenen PKW erst ein Stück die Küste entlang und dann quer durchs Land über die Pyrenäen nach Frankreich, durch die nördliche Hälfte durch Frankreich, anschließend durch Belgien, mitten durch Brüssel und bei Aachen nach Deutschland. Heinsberg immer im Blick, aber etwas dran vorbei ging es weiter über Düsseldorf und Dortmund nach Bielefeld.

Zwei Wochen war ich in Spanien und schon zu Beginn meiner Reise war die eine oder andere Sache über das neuartige Virus zu hören, das recht gefährlich zu sein schien. Heinsberg war der Ort, wo ich keinesfalls anhalten wollte. Im Auto hörte ich nur die lokalen Radiosender. Meine Spanisch- und Französischkenntnisse reichen jedoch nicht, die Nachrichten und Kommentare zu verstehen. An meinem Urlaubsort in Spanien gab es deutsche TV-Sender, da habe ich manchmal Nachrichten geschaut. Und natürlich hatte ich mein Handy dabei und dort dann und wann gelesen, was in der Welt so passiert.

Schon zu der Zeit haben es Politiker und Medien geschafft, dass ich mir Sorgen machte, was mich back home erwarten würde. Ein Stück weit war das sicher richtig, immerhin ist mit Covid-19 nicht zu spaßen. Zu der Zeit war noch nicht im Einzelnen klar, wie sich diese Seuche genau verbreitet. Es gab bereits diverse Empfehlungen, aber noch war alles irgendwie schwammig, unglaublich, noch nicht so recht greifbar.

Social Distancing

Schnell folgte eine Vorgabe nach der nächsten Einschränkung. Geschäfte wurden geschlossen, Feiern eingeschränkt, Schulen und Kindergärten wurden zum Thema und viele Menschen kamen in den Genuss von Homeoffice, ob sie wollten oder nicht. Es folgten Kurzarbeit und erste Insolvenzen. Auch ich habe viele Wochen von zu Hause aus gearbeitet, wobei mir das kein Problem bereitet. Ich arbeite seit Jahren bereits da, wo Internet ist. Im Büro bin ich nur, weil der Kaffee da besser schmeckt und das Wasser umsonst ist. Naja, und natürlich, weil die KollegInnen ja fast zur Familie gehören.

In Berlin wurde das Wort „Social Distancing“ aus dem englischsprachigen Ausland übernommen, ohne Rücksicht darauf, dass das Wort in Deutschland typischerweise einseitig übersetzt wird. Wer Englisch nur gelegentlich spricht, versteht darunter eventuell, dass soziale Kontakte eingeschränkt werden sollen, so hat es Mama Angie immerhin auch übersetzt.

Darf ich jetzt mal fragen: was haben die in Berlin denn da gesoffen? Die bessere Übersetzung wäre eindeutig „physikalische Distanz“ gewesen. Sich sozial zu distanzieren impliziert hierzulande schnell, dass man seine Freunde und Familie vernachlässigen soll. „Gesellschaftliche Distanz“ ist die Übersetzung, die ich bevorzuge, im Sinne von „Menschenansammlungen vermeiden“. So interpretiert es die englischsprachige Welt.

Schon allein das Wort „Distanz“, was übersetzt ja nichts anderes als „Abstand“ bedeutet, hat ein „Gschmäckle“: während wir Abstand von anderen Menschen oder von vorausfahrenden Autos halten, distanzieren wir uns von Aussagen und Meinungen. Obwohl beides grundlegend das gleiche bedeutet, wird der Abstand eher als räumlich, körperlich interpretiert, während die Distanz überwiegend für den geistigen Abstand verwendet wird.

Anfangs dachte ich: „Die werden das schon noch korrigieren oder erklären.“ Falsch gedacht. Unsere Politiker sprechen auch in Extremsituationen die höhere Sprache und hängen damit einen großen Teil der Bevölkerung ab. Und wundern sich dann, dass Querdenker auf die Barrikaden gehen.

Alles ohne Grund

Die Einschränkung der Kontakte, das Verbot von Veranstaltungen, die Schließung von Geschäften und viele andere Dinge wurden uns vorgesetzt und mit teilweise unsinnigen Erklärungen begründet. Was bis heute, ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie in Deutschland, fehlt, ist eine greifbare Erklärung, warum bestimmte Dinge eingeschränkt werden.

Zum Beispiel Friseure. Zuerst einmal sind Friseure keine Massenveranstaltungen. Zwar gehen viele Menschen im Laufe einer Woche ein und aus, aber der Kontakt zwischen Kunde und Hairstylist ist in einem erträglichen Rahmen. Von einem Superspreader-Friseur habe ich noch nichts gehört.

Oder Nagelstudios. Die Stylisten tragen schon von sich aus Masken oder haben Plexiglasscheiben zwischen sich und dem Kunden.

Oder Fußpflege. Kann mir mal bitte jemand erklären, warum medizinische Fußpflege erlaubt ist, dekorative aber nicht? Eine private Bekannte hat ein Zertifikat, sie darf weiterarbeiten. Bevor sie das Zertifikat hatte, hat sie nichts anderes gemacht. Nur ohne Papier dürfte sie das jetzt nicht mehr.

Tatoo-Studios. Die verbrauchen mehr Silikonhandschuhe und Desinfektionsmittel als eine Arztpraxis.

Die großen Technik- und Elektromärkte. Klimaanlagen, soweit die Nase reicht, aber nicht einmal mit Personenzahlbegrenzung.

Warum dürfen Schuhgeschäfte nicht einmal dann öffnen, wenn es nur um Schuhe für Kleinkinder geht? Kinder wachsen schneller aus den Schuhen heraus, als unsere Politiker sich zur nächsten Diskussion zusammenfinden. Zalando? Amazon? Ebay? In manchen Supermärkten findet man die ganz kleinen Schuhe, aber eher selten.

Gaststätten mit Außengastronomie. Kleine Kneipen oder Cafés haben wirklich ein Problem. Wenn die die Abstandsregeln einhalten wollen, passen nicht mehr genug Gäste hinein, die dem Umsatz bringen würden, damit der Laden am Leben bleibt. Ein Café, in dem ich gelegentlich Kuchen hole, hat Tische auf der Terrasse. Es passen vier Personen daran und alle Tische sind mit über 2m hohen Plexiglasscheiben voneinander getrennt. Öffnen verboten. Wo ist da der Sinn?

Es geht mir nicht um die Regelungen und Einschränkungen an sich. Die mögen alle einen Hintergrund haben. Nur leider ist die Begründung „zur Vermeidung von Ansteckung“ etwas dünn geraten: es werden so viele Dinge eingeschränkt und geschlossen, die wirklich nur wenig Verbreitungspotenzial bieten, während es für bestimmte Produktionsbetriebe Ausnahmen gibt. Diese Betriebe geraten gelegentlich in die Schlagzeilen, weil mal wieder ein paar hundert Infizierte gefunden wurden. Da wird dann für zwei Wochen Pause gemacht und dann geht’s weiter.

Bildung vs. Leben

Natürlich müssen unsere Kinder in die Schule, sie müssen lernen. Es darf nicht sein, dass ein oder zwei Jahrgänge in der Zukunft abgehängt werden, weil der Unterricht ausfällt. Aber was zum Henker denken sich die Berliner Pfeifen dabei, den Schulen tausende von iPads zu bewilligen, aber die zum Betrieb notwendigen Gelder für die Administration zu verweigern? Seit wann sind denn Lehrer plötzlich geschultes Fachpersonal, das sie auch mit Datenschutz auskennt? Ohne den dürfen die Dinger ja nicht ernsthaft in Betrieb genommen werden.

Wieso entscheiden „die da oben“, dass die Schulen jetzt mal eben schnell digitalisiert werden sollen und übersehen dabei, dass Länder, Kommunen und Schulen damit überfordert sind, mal eben schnell ein Konzept zusammenzuzimmern, damit das alles auch funktionieren kann?

Welcher Vollhonk darf sich aufs Tapet schreiben, die Schulen, die ohnehin besser gestellte Schüler haben, mit Geräten auszustatten, während die, wo es mal ernsthaft notwendig wäre, leer ausgehen?

Die Folge ist oft genug in den Medien zu sehen: einige Schulen, die ohnehin schon auf einem guten Weg waren, wurden weiter gestärkt und die, die schon vor Corona IT noch Eitieh geschrieben haben, das auch weiterhin tun.

Nein, ich bin nicht dafür, dass alle plötzlich Homeschooling betreiben. Nicht jeder kann sich selbst organisieren, nicht jeder hat ein familiäres Umfeld, das ihm effektives Lernen gestattet und nicht jeder wird mit der digitalen Version des Lehrmaterials glücklich. Aber jetzt mal wieder ein Wort aus meinem privaten Bekanntenkreis: eine junge Lehrerin, die zu Beginn der Pandemie überhaupt erst ins Berufsleben gestartet ist, bekommt zwei Masken gestellt. Ende. Die Gesamtschule, in der sie die unteren Klassen unterrichtet, betreibt Wechselunterricht: diese Woche bleibt die eine Hälfte der Klassen zuhause, nächste Woche die andere Hälfte. Was ist denn das für ein Quatsch? Einerseits heißt es, die ansteckende Zeit kann zwei Wochen betragen und andererseits wird alles über die Ein-Wochen-Regelung und die Lehrer wieder kaputtgemacht. Letztere werden ja nicht mit ausgetauscht.

Es ist inzwischen erwiesen, dass die meisten Ansteckungen in den Schulen stattfinden. In den Oberstufen, dort also, wo die Politiker glauben, die Schüler wären verständig genug, zu begreifen, dass sie Abstand halten und Masken tragen sollen. Einen Scheißdreck tun die, sobald sie sich unbeobachtet fühlen. Einige, nicht alle. Aber es reicht offensichtlich.

In der ganzen Diskussion um Schulen auf oder zu gibt es einen weiteren Punkt, den ich kritisieren möchte: die Sache mit dem Datenschutz. Ja, Datenschutz ist wichtig. Aber was für unfähige Berater haben unsere Politiker, die denen keine Optionen nennen können, wie man auch mit MS Teams oder Zoom ohne Weitergabe personenbezogener Daten arbeiten kann? Wenn in einer nie dagewesenen, weltweiten Sondersituation der Datenschutz höher bewertet wird, als das Leben von hunderten oder tausenden Menschen, frage ich mich, was eigentlich wirklich wichtig ist. Ich will nicht den Datenschutz infrage stellen, aber es gibt mehr, als den. Und es gibt sehr einfache Möglichkeiten, ohne Datenschutzprobleme Videokonferenzen durchzuführen.

Der klägliche Rest

Schon zu Beginn der Pandemie wurden Abstand, Mund-Nase-Masken, häufiges und intensives Händewaschen, Desinfektion und Lüften kleiner Räume empfohlen. Öffentliche Toiletten galten eine Zeitlang als Treiber, also wurden die allzu oft einfach mal geschlossen. Sogar Restaurants, als sie noch geöffnet waren, haben ihre Toiletten gesperrt, obwohl sie per Gesetz verpflichtet sind, Toiletten anzubieten, wenn sie Getränke verkaufen. Besonders deutlich wurde das in vielen Restaurants in Einkaufsmärkten und Shopping-Malls. Öffentliche Toiletten gibt es seit Jahren ohnehin immer weniger, im Normalfall will die ja auch kaum jemand benutzen.

Nachgefragt bekommt man immer die gleiche Antwort: man müsste ja eine eigene Reinigungskolonne nur für die Toiletten beschäftigen.

Liebes Berlin. Wie dumm seid Ihr? Es ist ja toll, dass Ihr jedem selbst überlasst, wie er bewerkstelligt, was Ihr fordert, aber bitte: „Wer nix wird, wird Wirt“, der Spruch kommt ja nicht von ungefähr. Aus reinem Eigeninteresse habe ich mich in verschiedensten Restaurants umgeschaut und durfte feststellen: wer eine Gaststätte betreibt, weil er zu was anderem nicht taugt oder weil es ins Gesamtkonzept gehört oder weil die Gelegenheit sich gerade bot, der hat seine Toiletten abgeschlossen. Männer können da noch wenigstens noch wildpinkeln, bei Frauen wird das dann aber schon zum Abenteuer. Und was ist, wenn ein paar Pfund Land mitkommen wollen?

Hätte irgendwas dagegengesprochen, eine konkrete Empfehlung für diejenigen mitzuliefern, die mit der platten Information „Toiletten sind ständig zu reinigen“ überfordert sind? Na klar, es gibt reichlich Toiletten, die würde ich nicht einmal mit Vollschutz betreten wollen, aber manchmal geht es eben nicht anders. Da frage ich mich, was für hygienische Zustände in Deutschland eigentlich zugelassen sind und gerne auch mal vorherrschen, wenn die Forderung nach Reinigung die Schließung zur Folge hat.

Es gibt auch die anderen, die Gastronomen, die ihr Geschäft betreiben, weil sie Spaß daran haben. Da geht es zwar auch um Geld, aber eben auch und hauptsächlich um das soziale Miteinander, es geht darum, den Menschen eine gute Zeit zu bieten und ihnen ein schmackhaftes Mal zu bereiten.

Von einer solchen Gaststätte kenne ich die Betreiber seit Jahrzehnten und hier stelle ich fest, dass die Sache mit den Toiletten kein Problem ist. Die Toiletten waren von morgens bis abends geöffnet, auch, als der Restaurantbetrieb fast vollständig zum Erliegen gekommen ist. Die Toiletten werden gereinigt und es stehen zur Selbstversorgung Desinfektionsspray und Tücher am Eingang. Ja, die Reinigung findet auch nur dreimal am Tag statt, so wie sonst auch. „Nach jedem Toilettengang“, dolle Show! An der Stelle würde ich dann schon mal eher die Eigeninitiative der Benutzer ansprechen, das Eigeninteresse. Das Problem wäre überhaupt erst gar nicht entstanden, wenn in Berlin nicht Milliarden als Ausgleich für nichts versprochen worden wären, die dann letztlich ja auch nicht so fließen, wie ursprünglich kommuniziert, sondern wenn es geheißen hätte: „Halbiert Eure Gäste und pflegt die Toiletten! Wir zahlen den halben Ausfall und eine halbe Reinigungskraft.“ Ich glaube, das wäre deutlich billiger geworden und die Menschen wären heute nicht so pandemiemüde, uneinsichtig und genervt von dem ganzen Thema. Warum billiger? Schon mal darüber nachgedacht, wie viele Gaststätten, Kneipen, Bars und so weiter diese Einschränkungen nicht überleben? Wie viele von denen gerne auch mal nachgelagert Insolvenz anmelden müssen, weil sie es ein Jahr lang verschleppen durften? Schon mal an die hunderttausende Aushilfen, für die immerhin auch ein kleiner Teil Steuern bezahlt wird, gedacht, die dann eben keine Steuern mehr zahlen, sondern Unterstützung brauchen?

Maskerade

Mund-Nase-Schutz, Gesichtsmaske, wie auch immer man die Dinger bezeichnen will: ich halte unsere Politiker bis heute für unfähig, zu kommunizieren, was jetzt richtig ist und warum die Masken so wichtig sind und welche die richtigen sind.

Nach allem, was bisher bekannt ist, helfen die einfachsten, schlechtesten Masken immer noch, pro Person etwa 20 bis 30 Prozent der als Virenüberträger bekannten Aerosole abzuhalten. Wenn also mein Gegenüber und ich die jeweils schlechteste Maske benutzen, sinkt unser Risiko schon mal um 40 Prozent, also knapp die Hälfte. Anders herum kann ich mich mit fast doppelt so vielen Menschen treffen, bevor mein Risiko wieder bei 1 ist. „Die Masken halten keine Viren ab“ konstatieren die Verweigerer. Unnütz seien sie und alles nur Verarsche. Und es stimmt: die Masken halten keine Viren ab. Die einfachen Masken jedenfalls. Die Viren aber hängen oft an den Aerosolen, an der Feuchtigkeit, die jeder beim Sprechen oder auch beim Atmen ausstößt. Wenn von diesen minimalen Tröpfchen nur die Hälfte bei mir überhaupt ankommt, steigt meine Chance auf das Doppelte, dass die Virenlast für mich nicht so groß wird, dass es ein Problem für mich wird.

— to be continued —

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